4. Presse

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Der Mensch, allein der Mensch

Der Mensch ist in ihre Bilder eingegangen, als habe er sich aus eigner Kraft zu diesem wundersamen Dasein aufgeschwungen. Er hat den weissen Raum erobert, als füllten die Gestalten ihre eigenen Skizzen mit Leben - ein anderes, ein stilles, warmes Leben, ein seltsam flüchtiges und leicht entrücktes auch, ein Leben, das sich laufend seiner selbst zu vergewissern scheint, den Blick in sich gekehrt aufs eigne, stumme Sein gerichtet: Verlorene Gedanken, als folge die Künstlerin ihrer kreativen Hand erst mit dem Intellekt, wenn sich der Strich schon langsam auf der Leinwand zeichnet.

Die neuen Arbeiten von Beatrice Steudler zeigen Figuren, die trotz umrisshafter Gestaltung noch mehr an Autonomie gewonnen haben. Die Titel sind verschwunden wie jene «Mauer-Zeichen», die einst den Blick in ihren Bann gezogen haben. Wo sich die Dingwelt unserer Wahrnehmung entzieht, hört die Geschichte auf, sich selber zu erzählen; wo das Subjekt den Gegenstandsbezug verliert, muss es ganz allein sein Dasein legitimieren,

und wo Geometrie in lichter Unentscheidbarkeit zerfliesst, Figur und Bildgrund eins zu werden drohen, kann nur emphatisches Aufbegehren vor dem Versinken retten - oder jene stille, fast meditative Gewissheit, die Steudlers Werke immer mehr und immer tiefer zu durchströmen scheint.

Getragen von einer freundlichen Farblichkeit setzt die Basler Künstlerin die menschlichen Konturen in Räume, die nur noch die Idee möglicher Umgebungswelten sind. Die mitunter kraftvolle Geste des offenen Pinselstrichs befragt das Bild in seinem Entstehungsprozess, konfrontiert Fläche mit der Sinnlichkeit der Gestalten. Beziehungsnetze knüpft alleine das nach Orientierung süchtige Auge des Betrachters - und blickt sofort ins eigene Konstrukt, das durch die Malerei mit wenig Rücksicht offengelegt wird.

Seit 30 Jahren malt Steudler Bilder, und 30 Jahre lang stand ihr der Mensch im Mittelpunkt. Vielleicht waren es die kleinformatigen Bronzeskulpturen, welche

die beschriebene Tendenz begünstigten: «Verlorene Formen» heissen diese, in Anspielung an das beim Guss herausfliessende Wachs, das dann zu ungewollter Form wieder erstarrt. In ihrem «Triptychon» vollzieht sie nun auch auf der Leinwand diesen Schritt: Jedes der drei Menschen-Bilder hat Steudler mit einer rein abstrakten Form kommentiert. Eine Form, die durchaus auch für sich alleine funktionieren könnte.

Alexander Marzahn,
Basler Zeitung,1999