4. Presse

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Menschenbilder und Zeichen auf der Bildfläche (2)

Es waren besonders Frauenbilder, fröhliche, freche, aber auch von Gram gebeugte Gestalten, gemalt aus Anteilnahme und einer wohl nicht zufälligen Solidarität. Auch wenn der Duktus heftig und vor allem malerisch war, so waren die Gestalten in ihren Haltungen und Handlungen doch personalisiert und unterscheidbar und auf diese Weise durch sie definiert.

Zehn Jahre später, und in einem solchen Zeitraum kann vieles geschehen, sehen die Bilder anders aus, sie sind ein bisschen ungestümer geworden, noch malerischer. Das alte Thema, der Mensch, ist geblieben, nur steht jetzt nicht mehr seine äussere Erscheinung im Vordergrund, die Wiedergabe seiner Befindlichkeit, seine Expressivität, sondern er tritt hinter den künstlerischen Anspruch der Künstlerin zurück.

Beatrice Steudler weiss es oder macht es für sich geltend: Das Bild ist keine inhaltliche Erzählung, heute weniger denn je, sondern es ist ein malerischer Akt, eine formale Lösung, ein kreatives Ereignis, was für die Entstehung

des Bildes durch die Künstlerin ebenso gilt wie für die Annäherung des Betrachters. Auch da ist ein Paradigmenwechsel eingetreten. Wir verstehen heute, dass Bilder etwas Bestimmtes sind, das sie in früheren Zeiten nicht waren oder das sie umgekehrt einmal waren, weil sie so verstanden wurden, aber heute nicht mehr sind, weil sie eine andere Bedeutung für uns erhalten haben.

Dem veränderten Verständnis vom Subjekt entspricht in Beatrice Steudlers neueren Werken die Tatsache, dass ihre Menschenbilder von ihrem figurativen Ausdruck abgewichen sind, sogar ein ganz schönes Stück weit, und dass sie nur noch den Anlass bilden, um zu malen, den Ausgangspunkt, die kreative Energie. Sie sind als Motivation da, nicht das Motiv.

Wenn Beatrice Steudler anfängt, mit dem Pinsel in der Hand zu arbeiten, sehr schnell und kraftvoll, wie ich mir vorstelle, dann vergisst sie sehr schnell ihr ausgesuchtes Thema und überlässt sich ganz dem Aktionsvorgang des Malens, der Bearbeitung der Leinwand. Das ist etwas, das aus der

körperlichen Bewegung des Arms hervorgeht, etwas, das mit Dynamik zu tun hat.

Die Folge davon wiederum ist, dass an die Stelle auf den Bildern, wo früher der Mensch stand, jetzt Zeichen sichtbar sind, Vibrationen, Spuren, eine Art Kalligraphie. Das Bild gibt nicht mehr den Menschen wieder, sondern legt Zeugnis ab vom Menschen, von dem die Anregung ausgegangen ist.

So gesehen hält es mehr die Spuren des Malaktes fest, die Intensität im Augenblick des Malens, die Gestik, die sich in eine bildnerische Sprache umwandelt, als das, was vom Menschen in seiner sichtbaren Erscheinung veranschaulicht werden kann. Nicht mehr Identität ist gemeint, sondern alles ist Entstehung, Entwicklung, Prozess, Gestaltung. Und wenn Beatrice Steudler über ihre früheren Menschen- und Frauenbilder sagt, sie hätte darin eine künstlerische Befreiung gefunden, dann muss es erlaubt sein zu fragen, wieviel Freiheit sie sich heute, mit den neuen Bildern, errungen hat und erlaubt.

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